70.
Jahrestag der “Razzia von Kokkiniá“
- auch für uns ein Anlass der Erinnerung
In diesen
Tagen jährt sich zum 70. Mal der Tag der „Razzia von Kokkiniá“, in Griechenland
überall noch bekannt als Μπλόκο της Κοκκινιάς („Blóko tis Kokkiniás“). Deutsche Spezialeinheiten hatten an diesem
Tag zusammen mit griechischen Polizeieinheiten schon in der Nacht den zentralen
Platz in Kokkiniá, einem
Stadtviertel im Südwesten von Athen besetzt. Viktor
Skoufalos, einer der Überlebenden, berichtet darüber: „Es war eines
Morgens, am 17. August 1944, ein Donnerstag, als wir laute Stimmen von weitem
hörten. Es war die Polizei (‚Efzonen’ [1]) mit Lautsprechern
und sie informierten
die Leute: ‚Achtung, Achtung! Alle Männer ab 15 Jahren sollen auf dem Platz
Osias Xenis erscheinen.’ Die Mutter weckte uns und sagte, dass wir gehen
sollten und wenn wir zurückkämen, würde sie uns etwas anderes als Maisbrot
hinstellen zum Essen.“ - Dazu kam es dann nicht mehr, Viktor kam erst im
Herbst 1945 wieder, denn auf dem Platz mussten
sich die Männer, 5 bis 6 Tausend, in Reihen hinknien, dann gingen vermummte
Denunzianten durch die Reihen und zeigten auf die Leute, die sie für Mitglieder
der ELAS, der griechischen Widerstandsorganisation, hielten. Diese wurden
abgeführt und an einer Fabrikmauer neben dem Platz von deutschen Soldaten
erschossen, zwischen 100 und 150 Menschen. Nachmittags wurden die übrigen aufgestellt
und zum SS-Lager nach Chaïdari geführt, wo schon viele andere Gefangene waren,
bis sie zum Bahnhof abgeführt wurden, von wo sie in 14-tägiger Fahrt, in
Viehwaggons zusammen gepfercht, nach Deutschland gebracht wurden, der größere
Teil nach Biblis zum Ausbau des Flughafens, der kleinere Teil, ca. 130 Mann
nach Bensheim Auerbach, um die Rüstungsfabrik des Darmstädter Unternehmers Dr.
Hans Heymann in den Räumen des ehemaligen Marmoritwerks aufzubauen.
„Platz des 17. August 1944“ Benennung des Platzes
der Razzia
in Kokkiniá, einem Stadtteil Athens
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Grabstätte an der Außenmauer des
Auerbacher Friedhofs
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Dass von dieser Gruppe in der kurzen Zeit bis zu ihrer
Befreiung im März ΄45 mehr als 10 Männer starben,
zeigt, wie sie von ihrem „Arbeitgeber“ Heymann und dessen Beauftragten
behandelt wurden. Noch heute kann man
ihre Namen an der Gedenkstätte sehen, die außerhalb der Friedhofsmauer errichtet
wurde.
In den Jahren 1992 bis 2003 wurden von der Stadt
Bensheim sechsmal die Überlebenden zu einem mehrtägigen Aufenthalt eingeladen,
unter Leitung des inzwischen verstorbenen Nikos Maniatis; dabei wurden auch
Interviews geführt und aufge-zeichnet, die inzwischen auch veröffentlicht sind.
Dies wurde vorbereitet und ermöglicht durch eine griechisch-deutsche
Arbeitsgruppe, die seit 1989 Archivdokumente in Darmstadt und Wiesbaden
auswertete und Zeitzeugen befragte.
Diese Besuche
und auch einige Kontakte in Athen führten zu engen persönlichen Bekanntschaften
und wir können sagen, dass dieses bisher eher vergessene Kapitel unserer
Stadtgeschichte doch in vielen Details aufgedeckt wurde. Dass es nicht wieder
in Vergessenheit gerät, ist der Sinn solcher Gedenktage, die uns jedoch auch
verdeutlichen sollen, was die Ursache der ganzen Leidensgeschichten war: Die
rücksichtslose unmenschliche Expansion des faschistischen Deutschland, hier
über die Balkanländer ab 1941; dass durch die Besatzung im ersten Winter in
Griechenland etwa 100 000 Menschen starben, weil alle Lebensmittel von der
deutschen Armee beschlagnahmt und die Importwege blockiert waren, war eine
Seite dieser Politik. Als dann im Verlauf des Krieges die Arbeitskräfte für die
Rüstungsproduktion in Deutsch-land immer knapper wurden, sollten in den
besetzten Ländern Arbeitskräfte beschafft werden; da das kaum auf freiwilliger
Basis zu erreichen war, wurden dann solche Razzien durchgeführt wie hier am 17.
August 44 in Athen. Auf diese Weise wurden aus ganz Europa über 8
Millionen Menschen in deutsche
Fabriken und auf Bauernhöfe getrieben, um als billige Arbeitskräfte ausgenutzt
zu werden.
Mit diesem Plakat mit dem Foto
der Erschießungsmauer
gedachte die Gemeinde Nikaia - Kokkiniá 2004 des
60. Jahrestages der Razzia
|
Wenn in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Wirtschafts-
und Finanzkrise Griechenland auch bei uns von manchen Medien in ein schlechtes
Licht gerückt wurde, sollten wir bei unserer Beurteilung auch diesen
geschichtlichen Aspekt nicht außer Acht lassen.
Morgen am Sonntag, den 17.
August 2014
wird in Erinnerung an die Razzia vor 70 Jahren um 11:30 Uhr eine Gedenkfeier an der Grabstätte an der Außenmauer des Auerbacher Bergfriedhof nach orthodoxem Ritus unter Leitung des Archimandriten Myron Kalaitzís, Pfarrer der griechisch orthodoxen Gemeinde Eberstadt stattfinden; dazu sind alle interessierten Bürger herzlich eingeladen.
wird in Erinnerung an die Razzia vor 70 Jahren um 11:30 Uhr eine Gedenkfeier an der Grabstätte an der Außenmauer des Auerbacher Bergfriedhof nach orthodoxem Ritus unter Leitung des Archimandriten Myron Kalaitzís, Pfarrer der griechisch orthodoxen Gemeinde Eberstadt stattfinden; dazu sind alle interessierten Bürger herzlich eingeladen.
(Fotos und
Textzitate aus: Johannes Krämer, …und dass wir achtgeben auf die nächste
Generation. Geschichte der griechischen Zwangsarbeiter in Bensheim-Auerbach,
hgg. Von Geschichtswerkstatt“ Jakob Kindinger“ e.V., Bensheim 2008)