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es kommt darauf an.
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Ἦρος ἄγγελος ἱμερόφωνος ἀήδων
Sappho 6.Jh.v.Chr. (Des Frühlings Botin mit sehnsuchtsvoller Stimme die Nachtigall)

Montag, 16. Januar 2012

Athen, erster Aufenthalt Januar 1990

aus Tagebuch Nr. 19

                                 Im Flugzeug in München, 31.12.89
Da bin ich - nach langer Erwartung, wie immer sehr unbestimmt und in den letzten Tagen eher Angst - vor allem in den Nächten: der Innenraum des Flugzeugs - ich lasse mich auf etwas ein, wo ich nicht aussteigen kann. Es wird eng hier in dem langen niedrigen Raum,  so viele Menschen gedrängt - heute Morgen, noch mitten in der Nacht nach dem Abschied von Hille - warten, ruhig im Flugzeug vorn in der 3.Reihe, das war angenehm - kurze Anspannung beim Aufsteigen - schnell über die Wolkendecke, aber darüber nichts, kein Blick auf die Ebene, den Odenwald. Kurz vor München wurde es im Osten über dem Wolkenmeer etwas hell. Jetzt zum zweiten Start; die beiden Frauen neben mir haben die Augen geschlossen - ob man so besser übersteht? Meine Gefühle sind sehr zurückhaltend - abwarten, nicht viel denken. Im Warteraum eben ein Mann mit siebenjährigem Sohn, Iraner, wir sprachen italienisch.
Es ist auch schön, ja, jetzt über den Alpen, leider sind die Fenster sehr klein und da ich wegen meiner Phobie am Gang sitzen muss, schaue ich rechts und links jeweils über zwei Nachbarinnen. Bei 850km/h und einer Höhe von 9000m ändert sich das Bild nur allmählich, nur wenn sich das Flugzeug zur Seite neigt, schaut man tief nach unten. Störend ist das geschäftige Treiben im Flugzeug - schon wieder Frühstück und Kaffee und zollfreies Einkaufen. Über Jugoslawien ein ganz anderes Bild: langgezogene Grate und Senken mit Nebel. Sarajewo. Saloniki. Nordgriechenland. Ein Wolkenmeer unter der Sonne wie ein riesiges Schneefeld - nur der Olymp ragt darüber hinaus. Als wir in Athen landen, bekreuzigt sich eine ältere griechische Frau.
Gegen Abend, mein erster griechischer Kaffee in der Plaka. Es ist kalt und ich glaube, dass ich den Jahreswechsel erst diesmal überschlafe.

                                 1.1.90
Es ist kalt - ich wollte erst gar nicht aus dem Bett, wollte weg sein. Der Himmel ist grauschwarz, aber dann ging ich doch los, durch menschenleere Gassen. Aus einer kleinen Kirche wurden Gesänge mit Lautsprechern auf die Straße übertragen. An der Agora vorbei zur Pnyx. Ob die alten Athener hier auch bei solchem Wetter ganztägige Volksversammlungen abhielten? Ich stieg nicht auf den Philopapposhügel, weil es mir zu kalt war und die Aussicht zu trübe. Im Schutz des Hügels war es wärmer. Ich ging also in Richtung zum Meer, zum Piräus - zuletzt noch, weil es sich doch wider Erwarten endlos hinzog durch kahle Straßen, mit Bus nach einem „Gespräch“ mit einer älteren Frau an der Haltestelle. An den Bäumen hängen Orangen - kaum zu glauben. Olivenbäume, Eukalyptus u.a. Im Hafen an der Aktí Miaoúli lagen Riesenfährschiffe mit offener Einfahrt wie schwimmende Parkhäuser. In einem Café lauter dunkle Männer, ein griechischer Kaffee und Musik - das tat mir gut.

                                
                                 2.Januar
In der Athinas-Straße
Um zu schreiben, muss ich mir erst die Finger wärmen - mit einem griechischen Kaffee (60GRD!) an der Plateia Omonoia, also in der Nähe meines  Hotels, beginnt meine erste „Besichtigung“, die Agora, zu deren Ausgrabung die USA ein ganzes Stadtviertel abgeräumt haben, mit entsprechenden Protesten. Was hier einmal geschah! Geschäfte, Leute, Reden, Hektik ist jetzt in ganzen Stadtvierteln außerhalb. Gleich vom Eingang weg bis zum Monastiraki der Flohmarkt und dann in der Nähe des Hotels in der Athinas-Straße um die großen Markthallen herum. Die Straßen bieten ein anderes Bild als ich es von allen Großstädten kenne, von deutschen Städten ganz zu schweigen: kleine, kleinste Häuser neben Riesenkästen, alte, moderne, Flitter neben ganz Verfallenem, dunkle einräumige Werkstätten, manchmal im Keller neben feinen Läden. Die Leute hier wirken wach und gelassen.
                                          abends
Die Nachmittagswanderungen sind anstrengend, gegen fünf wird es dunkel, auf den breiten Straßen herrscht ein Wahnsinnsverkehr. Gestern Abend ein Fahrradfahrer, ohne Licht, mittendrin - bei uns ein Todeskandidat. Ich laufe von der Uni zur Straße des 28.Oktober, weit hinaus, und die Straße des 3.September zurück - zwischendurch eine Tiropitta und - daran konnte ich nicht einfach vorbeigehen - eine Crèpe au sucre, me zacari). Dieses Viertel ist mondäner, mit vielen großen Geschäften, Buchläden und auch einem Musikgeschäft mit Noten - z.Zt. alles geschlossen, aber später - und dann heute auch einige Kinos, was ich gestern vergeblich suchte. Dafür fand ich etwa sechs kleine Theater; bei meinen geringen Sprachkenntnissen schien mir das jedoch eine Verschwendung - vielleicht nächste Woche.
Heute bin ich hier im Asty einen polnischen Film sehen: Μικρή ερωτική ιστορία, von Kislοfski, nach dem Publikum zu urteilen, das eben herankommt, sicher ein guter Film, ich hoffe, dass ich etwas verstehe. Ein lyrischer Film ohne viele Worte, und die in Polnisch, griechisch untertitelt - das ist gut für Anfänger mit einem Hang zur Schrift; ein griechischer Kurzfilm am Anfang war schon viel schwieriger. Gestern, als im Bus vom Piräus nach Athen ein alter Mann rauchte, hielt der junge Busfahrer an und ließ eine Schimpfsalve auf ihn los, kaum eine Sekunde lang - das wirst du nie verstehen diese Sprache, dachte ich. Der Film hat mich sehr betroffen und wohl nicht nur mich - als wäre es eine Geschichte aus meinem Leben - danach ging mir eins von den südamerikanischen Liedern, die ich mit Susanne spiele, nicht mehr aus dem Kopf.
Eben las ich mein römisches Tagebuch - sehr intensive Erinnerung an einzelne Wanderungen - da wankte mein Stuhl, der Boden - ein furchtbarer Schreck! Im fünften Stock eines wohl nicht sehr soliden Hauses! So hatte ich das noch nie erlebt. Ich konnte nicht bleiben, zog mich wieder an und ging. Unten in der Bar und in der Rezeption hatte niemand etwas merken wollen - ich ging einige Zeit durch die Straßen und trank dann in der Bar einen Kaffee - ich muss die Angst verdrängen, wie schon im Flugzeug.

                                  
                                 Donnerstag, 3.Januar
Immer bin ich noch zuerst enttäuscht, wenn mir einer „nä“(ναί) sagt, dann erst schalte ich und merke, dass meine Frage bejaht, meine Bitte nicht abgeschlagen wurde. Die Nacht habe ich überstanden, wenn auch schlecht - in den Zeitungen standen übrigens doch große Berichte über das Erdbeben abends mit Stärke 5 auf der Richterskala.
Das Frühstück habe ich verpasst, meine Uhr ging nach - kein guter Anfang, vor allem für eine so gewaltige Unternehmung wie den Besuch des Nationalmuseums den ganzen Tag. Jetzt sitze ich im Café des Museums, nachdem ich das Erdgeschoss durchwandert habe.
Da ist auch der Krater, den ich so oft kopierte: Prothesis einer jungen Frau mit Trauernden – dahinter sind zwei Reiter und Männer des Trauerzugs (etwa 80cm). Einen Brautzug habe ich noch nicht gefunden, aber vom Ende des 5.Jh. gibt es mehrere Darstellungen auf Loutrophoren und Lebes.
Ich versuche, die Straße zur Akademie zu gehen. Die Straße ist eine Fußgängerstraße, neu angelegt. Auf einem anderen Hügel sehe ich eine byzantinische Kirche, es ist die Kirche des hl. Milianós, 1953 erbaut, mit Bruchstein und die Architekturformen mit Backstein.
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