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Ἦρος ἄγγελος ἱμερόφωνος ἀήδων
Sappho 6.Jh.v.Chr. (Des Frühlings Botin mit sehnsuchtsvoller Stimme die Nachtigall)

Montag, 17. Januar 2011

Platon und die Musen


DIE STELLUNG DES MUSISCHEN IM PHILOSOPHISCHEN UND POLITISCHEN DENKEN PLATONS


Inaugural - Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades
der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universitätzu München vorgelegt von
     Johannes Krämer, Saarlouis

Referent:   Kurt von Fritz
Korreferent:  Helmut Kuhn
Tag der mündlichen Prüfung: 11.7.1969



 EINLEITUNG

System und Widerspruch


In der Literatur, die sich mit dem Problem der Dichtung bei Platon beschäftigt, taucht immer wieder die Frage auf, ob man von einer platonischen Kunsttheorie, einem System der Ästhetik sprechen könne, oder ob sich zumindest so viele Elemente finden lassen, daß man ein System daraus konstruieren könne. Wenn wir nun die Äußerungen Platons in ihrem jeweiligen Zusammenhang untersuchen, stellen wir fest, daß von einem System in keiner Hinsicht die Rede sein kann. Aber die Frage ist grundsätzlicher zu stellen. Leibniz schreibt in einem Brief an Nicolas Remond vom 11. Februar 1715: "Si quelcun reduisoit Platon en systeme, il rendroit un grand service au genre humain, et l'on verroit que j'y approche un peu."[1](Wenn jemand Platon in ein System fassen würde, würde er damit der Menschheit einen großen Dienst erweisen, und man wird sehen, dass ich dem ein wenig näher komme) Diese Tendenz, einen Gegenstand zu systematisieren, ist nun zwar eine Eigenart der wissenschaftlichen Methode und äußerte sich in der Geschichte der Platonforschung immer wieder in Versuchen, eine platonische Ontologie, eine Erkenntnistheorie, eine Ethik usw. aus seinem Werk herauszukristallisieren;[2]  gerade bei Platon zeigt sich aber, daß diese Methode der Eigenart seines Philosophierens nicht gerecht wird.
Kopie des Silanion
Platon definiert am Ende des 6. Buches der Politeia (510 b -11 d) die Aufgabe der Philosophie, indem er sie von den mathematischen Wissenschaften abgrenzt, besonders einleuchtend am Beispiel der Geometrie. Diese gehen von bestimmten Voraussetzungen aus und bauen auf dieser Basis ein zusammenhängendes System, mit dem sie einzelne Phänomene zu erklären versuchen. Die Dialektik dagegen nimmt zwar auch Voraussetzungen als Ausgangspunkt, dringt aber durch die Prüfung dieser Voraussetzungen in Richtung auf ein ανυπόθετον (das Absolute) auf die αρχή του παντός (der Ursprung des Ganzen) vor. So besteht die sokratische Methode darin, von den Meinungen der Gesprächspartner ausgehend durch ständiges Fragen nach dem Wesen des jeweiligen Gegenstandes zu suchen.
Bei unserem Problem geht Platon von der weitverbreiteten Vorstellung aus, daß die Dichter über ein umfassendes Wissen verfügen und daß die Dichtung also zur Erziehung geeignet sei[3]; durch die Untersuchung der Frage nach dem Wesen des Wissens und der Erziehung und durch die Prüfung der Dichter und ihrer Werke im Zusammenhang dieser beiden Begriffe kommt er dann zu der Feststellung, daß diese Annahme nicht richtig ist; auf Grund seiner neuen Wesensbestimmung von Wissen und Erziehung weist er dann der Dichtung die entsprechende Stellung innerhalb der menschlichen Aktivitäten zu. Daß in dieser Fragestellung auch Aussagen über das Phänomen der Dichtung gemacht werden, kann für uns zwar eine literarhistorische Bedeutung haben[4], für Platon sind sie durchaus sekundär, er beschäftigt sich nicht mit der Dichtung als einem isolierten Problem, wie es bei Aristoteles erscheint, sondern sein Interesse gilt ihr nur in Bezug zur Erkenntnis und auf Grund ihrer erzieherischen, d.h. aber auch politischen Funktion.
Die wichtigste Forderung, die wir an ein System stellen, ist die der Widerspruchslosigkeit. Daher hat aber wohl das Widersprüchliche, das man gerade in der Stellung Platons zur Dichtung zu sehen glaubte, die meisten davon abgehalten, eine systematische Kunsttheorie Platons aufzustellen. Dazu möchte ich jedoch betonen, daß wir, selbst wenn wir kein System bei Platon suchen, nicht einfach einen inneren Widerspruch hinnehmen können, so wie es G. Finsler annimmt, wenn er schreibt[5]:    "In den Schriften aller großen Denker und Dichter finden sich unleugbare Widersprüche und Unebenheiten;" ich stimme Finsler völlig zu, wenn er davor warnt, echte Widersprüche zu verwischen, kann ihm jedoch nicht mehr folgen, wenn er solche Widersprüche im Falle Platons auf eine "leidenschaftliche Natur" zurückführt oder auf "die Stimmung des Augenblicks", die "für den Moment ein ganzes Gebäude über den Haufen wirft und in ihrer elementaren Wirkung dem unlösbare Rätsel aufgibt,  der von einem Großen im Reiche der Geister eine leicht fassliche, nach Kapiteln und Paragraphen säuberlich abgeteilte Unterweisung erwartet hat". Es wäre an sich überflüssig, sich mit einer solchen Äußerung überhaupt zu beschäftigen, wenn nicht dieses psychologische Argument gerade zu unserem Problem immer wieder in irgendeiner Form auftauchte. Platons Dialogführung ist gewiß lebhaft und zeigt ein inneres Engagement, eine philosophische Begeisterung, die sich manchmal zu Heftigkeit steigern kann, es kommt jedoch nirgends vor, daß Platon auf Grund eines heftigen Engagements wesentliche Aussagen macht, die mit anderen in Widerspruch stehen; auffallend ist vielmehr die Kontinuität seiner Probleme und Stellungnahmen in seiner ganzen Entwicklung.
Was andrerseits den Widerspruch im Werke "großer" Denker betrifft, so bin ich nicht bereit, solche einfach zu konstatieren und sie etwa noch als ein Merkmal der Genialität zu betrachten; wenn sich wirklich zeigen .sollte, daß Platon in einem wesentlichen Punkt völlig entgegengesetzte Meinungen vertritt, so müßten daraus Konsequenzen gezogen werden. In unbedeutenden Nebenbemerkungen kann ein Widerspruch einfach dadurch erklärt werden, daß es oft unmöglich ist, ein umfangreiches Werk zu überschauen, in wesentlichen Haltungen jedoch kann ein offener Widerspruch, jedenfalls wenn er bewußt geäußert wird, nur als eine Art Schizophrenie betrachtet werden.
Allerdings sollte man sich bei der Interpretation immer die Haltung zu eigen machen, mit der z.B. Lessing an die Deutung der aristotelischen Poetik herangeht[6]: "Eines offenbaren Widerspruchs macht sich ein Aristoteles nicht leicht schuldig. Wo ich dergleichen bei so einem Manne zu finden glaube, setze ich das größere Mißtrauen lieber in meinen als in seinen Verstand... . Ich bleibe also stehen, verfolge den Faden seiner Gedanken zurück, ponderire ein jedes Wort und sage mir immer: Aristoteles kann irren und hat oft geirrt;
aber daß er hier etwas behaupten sollte, wovon er auf der nächsten Seite gerade das Gegenteil behauptet, das kann Aristoteles nicht. Endlich findet sich's auch." Indem wir mit einer solchen Haltung die Untersuchung durchführen, werden wir feststellen, daß die Diskrepanz der Stellungnahmen Platons zur Dichtung durchweg aus dem jeweiligen Zusammenhang und der Verschiedenheit des Aspekts, unter dem die Dichtung gesehen wird, erklärt werden kann, so daß Platons Haltung als durchaus einheitlich gelten kann.


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