Als ich Zeit hatte,
das heißt nach meiner Pensionierung,
gab ich den ersten Teil meiner Tagebücher,
von 1962 - 1968, als Buch heraus
und schenkte es an Freunde.
Hier nun das zweite der "blauen Bücher"
II
Bonn, Hotel Hennöfer, 18.10.62
"Es war seine (Baudelaire) Aufgabe, in diesem Schrecklichen, scheinbar nur Widerwärtigen das Seiende zu sehen, das mitten unter allem Seienden gilt. Auswahl und Ablehnung gibt es nicht." Rilke, Malte S. 81
19.10.62
"Er besaß die Kraft derjenigen, auf die ein großes Werk wartet, die schweigsame Ausdauer derer, die notwendig sind."
Rilke, Rodin 15
"Und kamen Zweifel, kamen Ungewißheiten, kam die große Ungeduld der Werdenden zu ihm, die Furcht der täglichen Not, so fand das alles in ihm schon einen stillen, aufrechten Widerstand, einen Trotz, eine Stärke und Zuversicht, alle die noch nicht entfalteten Fahnen eines großen Sieges."
Rilke, Rodin 19
20.10.62
Jetzt -
zwischen zwei Nichtse
eingekrümmt,
ein Fragezeichen,
ein müdes Rätsel -
ein Rätsel für Raubvögel...
Friedrich Nietzsche
Feuilles d'automne
I
Aus den gilbenden Kastanien
steigt das reine Blau,
das über den Rändern des Rondells
sich stählern weitet
wie ein Segel sich in Tiefen spannt
unendlich tief,
auch in dem Rahmen des Rondells
unendlich.
Gläsern klingt es drüber hin
von gleißendem Licht
und innen steht ein Wind
frostig wie Kristall,
der Blaues bis zur Erde zieht
und manchmal braune Blätter
mit sich bringt, die sorglos
in dem tiefen Blau zur Erde segeln.
Spätnachmittag, 24.10.62
Ist Schmerz, sobald an eine neue Schicht
die Pflugschar reicht, die sicher eingesetzte,
ist Schmerz nicht gut? Und welches ist der letzte,
der uns in allen Schmerzen unterbricht?
Rilke,Späte Gedichte 145
II
Seltsames geht am Himmel hin,
über das bleiche Milchglas eines Fensters
schiebt sich Grau und Schwarzes.
Seidenfäden weben nieder
spinnen ferne Hügelkuppen ein.
Gelbe Blätter zittern leis
im kalten Wind, der unten
totes Laub verfolgt
Schwarze Wellen enden müde
im Geröll das grünt.
Möwen fliegen drüber hin.
25.10.62
III
Nun, da Herbst fällt,
zeigt sich, dass im Innern
grüner Tempel Schwarzes war,
verborgen in dem reichlichen
Gewand,
das gilbt und abnutzt -
transparent.
Nun stehen schwarze Stämme auf
wie längst vergrabene Gebeine.
Sie tragen gelben Zierrat,
der zur Erde zeigt
und Graues durchlässt.
"Auch ist man nie näher an einer 'Wendung', als wenn sich das Dasein, bis ins Kleinste und Täglichste hinein, für 'unerträglich` ausgibt - gerade dann noch eine Weile zu warten, müßte eine Aufgabe mindestens - der Neugierde sein. Rilke, Muzot,26.1.22
"Stellen Sie sich einen Malte vor, der in diesem für ihn so furchtbaren Paris eine Geliebte oder selbst einen Freund gehabt hätte. Wäre er dann wohl je so tief in das Vertrauen der Dinge eingetreten?"
Rilke, Muzot, 1921
30.10.62(UB)
Du, willst Du mit mir gehn, an meiner Seite, immer ein wenig zurücktretend, damit Du nichts verdeckst, nichts von dem kalten Blau, nichts von dem feuchten Grau: die ganze Weite, die ganze Nähe will ich.
4.Nov.
"Er (Aaron) soll dein Mund sein, und du sollst für ihn an Gottes Stelle stehn" exod.4.16
5. .Nov. nachts
Ce sont des choses mesquines - en certain sens - qui font le plus souvent nos mélancolies, nos tristesses. Et il n'y a pas de différence entre nos propres malheurs et l'infortune de l'homme que l'on aime. C'est toujours le même ciel sombre, qui tombe dans notre vie.
continua! weiter diario II