Ciao!

Ich freue mich, dass Sie meine Seite gefunden haben.
Ob sie beim Lesen Freude macht, weiß ich nicht,
es kommt darauf an.
Ich wünsche jedenfalls ein erholsames Betrachten.
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Ἦρος ἄγγελος ἱμερόφωνος ἀήδων
Sappho 6.Jh.v.Chr. (Des Frühlings Botin mit sehnsuchtsvoller Stimme die Nachtigall)

Samstag, 30. Dezember 2017

an Hille - damals



.... Dann sah ich dort in der Schublade noch ein Kästchen, nahm es heraus und fand darin alte Briefe und Fotos von Irmgard u.a. und dabei war auch ein Brief von mir in München, Engadiner Staße 2/4 an Frau Hille Krämer-Schrieber, in Düsseldorf-Nord, Amsterdamer Str.27 Poststempel am 23.11.1969. Es sind 4 Blätter in Postkartengröße:

(1)    „Du Liebe, nach getaner Arbeit! will ich Dir bei den kräftigen Gesängen der Mahalia [Jackson] ein wenig schreiben. Die Arbeit bestand darin, den Rotkohl aufzusetzen, genau nach Vorschrift, jetzt dünstet er, das mach Spaß im Jenatopf – ich habe nur leider etwas zu spät das Wasser drauf gegossen, so daß die Zwiebel etwas angebrannt roch – ich hoffe aber, dass es nicht so schlimm ist, ich mache mir dann nachher ein Schnitzel dazu und heute Abend soll Hildegard und Eugen das Pfund Hackfleisch zu Fleischpflanzerln verarbeiten – ich hoffe nur, dass ich nicht die ganze Woche davon essen muß. Du siehst, für das Leibliche ist gesorgt, aber doch spüre ich, wie wir, Du und ich, auch auf dieser äußerlichen Ebene schon ganz zusammengewachsen sind, daß das Kochen und Essen und überhaupt der Haushalt viel schöner ist, wenn Du da bist, auch wenn mir das keine technischen Schwierigkeiten bereitet – es muss wohl einfach daran liegen, daß ich Dich und Du mich ganz lieb haben und daß das Essen immer noch am besten mir Kußnelken und Streichelblättern, die um Deine Liebesäpfel wachsen, gewürzt wird.
(2)    Ich war die letzte Woche sehr aktiv, was jedoch manchmal zu allgemeinen Depressionen führte, da ich keine Ruhe und keine konzentrierte Arbeit hatte. Im Schulungskurs am Montag und Donnerstag und auch auf dem Dipl haben wir eine Rückbesinnung versucht auf die grundlegenden Methoden der Marxschen Kritik im Unterschied zur bürgerlichen Ökonomie. Dies war nötig geworden, weil in der letzten Zeit die Gefahr bestand, dass wir uns in ökonomischen Details verlieren. Ich habe dazu in Deinem Marcuseband 2 einen guten Aufsatz gefunden:“Über die philosophischen Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriffs“, wo von der Philosophie her (Hgel, Marx)kritisiert wird, daß die bürgerlichen Ökonomen den Begriff der Arbeit rein auf die wirtschaftliche Tätigkeit und weiter auf die Lohnarbeit beschränken, ohne nach ihrem Wesen und ihrer Stellung zum menschlichen Dasein überhaupt zu fragen. Indem Hegel und Marx in der Arbeit einen notwendigen Akt der Selbstverwirklichung, der Selbstvergegenständichung definieren, gewinnen sie die Möglichkeit, das Phänomen der Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise zu kritisieren, was von der bürgerlichen, ökonomischen Begriffsbestimmung her überhaupt nicht mehr möglich ist.
(3)    Am Freitag um 13.00war ich noch auf eine Teach-in von der Projektgruppe „Technologie“ in der TH. Anlaß  war Prof. Bauer von der TH, der an der Planung eines Forschungsinstitutes beteiligt ist, das vom Wissenschaftsrat der NATO angeregt wurde. Prof. Bauer war selbst erschienen und demzufolge war der Saal übervoll von seinen „technokratischen“ Anhängern.  Am Anfang gab es gleich eine kolossale Lächerlichkeit, als der Professor, da er einfach mit „Herr Bauer angeredet wurde, erklärte, er werde sofort den Saal verlassen, wenn er nicht mit „Professor“ angeredet wurde!! Als dann einer vonder Projektgruppe darauf hinwies, daß die Forschung des zu gründenden Instituts, auch wenn es nicht direkt militärische Forschung betreibe, dennoch zu militärischen Zwecken verwandt wird, riefen die Technokraten: „Na und?“
Ich bin daraufhin gegangen, weil die Situation mir aussichtslos erschien.“
(4)    Jetzt habe ich meine Mittagessen hinter mir, der Rotkohl ist ausgezeichnet, auch das Schnitzel mit Zwiebeln. Dann habe ich in lieber Gewohnheit ,nach dem Sonntagsessen im Radio das Märchen gehört „Vom König Knakkerkunk“, der nicht regierte und nur den ganzen Tag auf seinem Thron saß, weil dort die weichsten Kissen waren; dort schlief er immer und wollte nicht, daß seine Tochter heiratete, bis er durch das Gespenst Knobbepiets dazu gebracht wurde, der Hochzeit der Prinzessin mit ihrem lieben Gärtnerbursch zuzustimmen – ich habe dazu in meinem Hausschlafanzug auf dem Bett gelegen, d.h. eigentlich war es Deiner, mit den blauen Punkten – gestern Abend, als ich das Bett machte, war ich so gedankenlos (oder??), daß ich zwei Kopfkissen nebeneinander am Kopfende hinlegte ojeh – gerade wollte ich eine Platte auflegen, da ist mir die Nadel rausgefallen – jetzt weiß ich auch, wie man sowas einsetzt. – Jetzt will ich Schluß machen, draußen wird es immer nebliger, so als wären wir am Rhein, und ich mummle mich so richtig in die Zimmerwärme – das darf ich doch!? in der Woche bin ich ja wieder immer unterwegs. Grüß Dich , ganz Liebe, und auch Deine beiden Kranken – Hoffentlich geht es Deiner Mutter bald besser –
Jetzt muß ich mich doch anziehen und will den Brief für Dich runterbringen, daß du siehst, wie ich Dich lieb habe
                                                             Dein ganzer Mann
                                                                wie klein auch immer