Ich schäme mich
Leserbrief zum Artikel „Aufmarsch von Neonazis“ im BA vom
27.8.12
Ich schäme mich für die Stadt
Bensheim, dass am Samstag eine Nazi-Gruppe vom Bahnhof zur Hauptstraße und
weiter durch die ganze Fußgängerzone ziehen konnte, ohne dass von der Stadt
oder von demokratischen Parteien und Organisationen irgendein Widerstand
deutlich wurde. Lediglich die Polizei war von der Stadt als Begleitung der Nazis durch die Stadt
organisiert.
Dass Stadtrat Adil Oyan noch im
Urlaub weilte, ist keine Entschuldigung, denn wo war zum Zeitpunkt der
Antragstellung der Bürgermeister, wo waren andere Magistratsmitglieder? Aber
Adil Oyan meint ja ohnehin: „Es gab aber keine rechtliche Handhabe, die
Kundgebung abzulehnen.“ Es ist wirklich schrecklich und beängstigend, wenn man
sieht, was in der vergangenen Woche in Nordrhein-Westfalen bei der Razzia ans
Tageslicht kam: nicht nur reichlich schriftliches Material auch mit deutlichen
Verknüpfungen zur „rechtlich zugelassenen“ NPD sondern auch jede Menge Waffen;
und dann gibt es keine „rechtliche
Handhabe“ diese Aktionen zu verbieten? Die Stadt, die ja vor einigen Jahren die
„Bensheimer Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen“ beschlossen hat, hätte damit wenigstens ein Zeichen gesetzt,
auch wenn häufig die Gerichte diese Verbote mit formalen, politisch
unzutreffenden Argumenten, wieder aufheben. Eine aktuelle Begründung wäre hier
z.B. gewesen, dass am Samstag in der Fußgängerzone zwei politische
Kundgebungen, die schon lange angemeldet waren, stattfanden: eine von der CDU
und eine von der GLB.
Ich schäme mich persönlich, wenn
ich mir klar mache, dass ich an einer der beiden Veranstaltungen längere Zeit
teilnahm, während an anderer Stelle die Nazis sich auf ihren Marsch
vorbereiteten. Allerdings wusste ich selbst zu diesem Zeitpunkt nichts von dem,
was der Stadt bevorstand. Die Anmeldung des Naziaufmarschs hätte doch sofort
aus dem Rathaus in die Öffentlichkeit
gelangen müssen, um zumindest einen spontanen Widerstand mobilisieren zu
können; schließlich hätten die GLB und die CDU bei ihren Veranstaltungen vor
der Faktorei spontan zu Aktionen gegen den Aufmarsch der Nazis aufrufen müssen.
Es gibt kaum Städte in Ost- oder Westdeutschland, in denen heute solche
Aktionen mitten in der Stadt unbehelligt stattfinden können. Was muss denn noch
passieren, bis sich die Verantwortlichen, ich meine damit die politischen
Vertreter ebenso wie alle Bürger, mich eingeschlossen, diesen Herausforderungen
und dieser Bedrohung der Demokratie adäquat stellen?
Dr.
Johannes Kraemer, Postgasse 4